Das Café Slavia ist eines der ältesten und berühmtesten Cafés Prags. Es wurde im August 1884 im Palais Lažanský eröffnet, unweit der Karlsbrücke und direkt gegenüber dem Nationaltheater. Von Beginn an zog es ein vielfältiges Publikum an – Bürger, Theaterbesucher und Intellektuelle. In den 1920er Jahren, der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik, erlebte das Slavia eine Blüte: Es wurde in ein französisches Art-Déco-Café umgewandelt und avancierte zum Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde. Dichter wie Jaroslav Seifert, Maler wie Jan Zrzavý und Schriftsteller wie Arnošt Lustig zählten zu den Stammgästen. Berühmt war das Café auch für seine Debatten – hier diskutierten angehende Schriftsteller hitzig über neue Theaterstücke oder politische Ideen.
Café Slavia
Adresse: Národní 1, 110 00 Staré Město, Tschechien
Webseite
Während der kommunistischen Normalisierung in den 1970er und 80er Jahren behielt das Slavia eine besondere Rolle: Es diente als informeller Treff der Dissidenten. Václav Havel, der spätere Präsident, saß hier oft an seinem „Stammtisch“ am Fenster, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Diese mutigen Treffen unter den Augen des Regimes verliehen dem Ort einen beinahe mythischen Ruf. 1992 musste das Café Slavia zwar kurzzeitig wegen privater Rechtsstreitigkeiten schließen, doch seit 1997 ist es wieder geöffnet – sehr zur Freude der Prager, die ihr Traditionscafé zurückbekamen. Heute wird das Slavia oft als „Prager Institution“ bezeichnet, denn kaum ein anderer Ort spiegelt die kulturelle und politische Geschichte der Stadt so wider wie dieses Kaffeehaus.
Architektur und Atmosphäre
Das Interieur des Café Slavia besticht durch seinen zeitlosen Art-Déco-Stil. Große Fenster geben den Blick frei auf die Moldau und das gegenüberliegende Nationaltheater – ein Panorama, das besonders abends atemberaubend ist, wenn Lichter auf dem Fluss glitzern. Im Inneren dominieren dunkles Holz, Messingleuchter und grün gepolsterte Sitzbänke. An den Wänden hängen Schwarzweiß-Fotografien von Künstlern, die das Slavia einst besuchten, was dem Raum ein gewisses Galerie-Flair verleiht. Ein besonderer Blickfang ist das Gemälde „Der Absinthtrinker“ von Viktor Oliva aus dem Jahr 1901
english.radio.cz, das eine grünliche Absinth-Fee über einem sinnenden Trinker zeigt. Dieses Gemälde, Symbol für die dekadente Künstlerkultur der Jahrhundertwende, hängt prominent an der Stirnseite des Cafés und zieht fast jeden Gast in seinen Bann. Auch steht im Slavia häufig ein Klavier bereit; an manchen Abenden erklingt Live-Klaviermusik, was die Atmosphäre sehr elegant und nostalgisch macht. Trotz aller Geschichte wirkt das Café Slavia nicht verstaubt: Es wurde behutsam renoviert und strahlt heute eine klassische, aber lebendige Eleganz aus – ein Ort, an dem man sich sowohl in die 1930er zurückversetzt fühlt als auch die Gegenwart Prags spürt.
Besondere Spezialitäten
Als Kavárna und Restaurace (Café & Restaurant) bietet das Slavia neben Kaffeespezialitäten auch böhmische und internationale Küche an. Vormittags genießen viele Gäste ein reichhaltiges Frühstück mit Eierspeisen, frischen Semmeln und natürlich einer Tasse des hauseigenen Slavia-Kaffees. Zur Kaffeezeit sind der hausgemachte Medovník (Honigkuchen) und verschiedene Torten beliebt – eine Tradition aus der Ersten Republik. Daneben hat das Slavia eine volle Getränkekarte: vom tschechischen Bier bis zum namensgebenden Absinth, den man stilecht mit Zucker und kaltem Wasser zelebrieren kann. Ein Highlight ist die „Slavia-Eisschokolade“, eine opulente heiße Schokolade mit Schlagobers und Eis, die gerade an kalten Tagen für wohlige Wärme sorgt. Für Theaterbesucher werden abends kleine Speisen und Desserts angeboten, perfekt für einen Abstecher in der Pause oder nach der Vorstellung gegenüber. Insgesamt verbindet das Angebot Tradition und Moderne, sodass man im Slavia sowohl einen einfachen Espresso an der Bar als auch ein komplettes Dinner genießen kann.
Persönlichkeiten im Slavia
Die Liste der berühmten Gäste ist lang. Rainer Maria Rilke, der Prager Poet, schrieb hier einige seiner Verse nieder. Jiří Kolář, ein bedeutender tschechischer Künstler, debattierte hier mit Kollegen. Zur Zeit des Prager Frühlings und danach trafen sich Dissidenten wie Bohumil Hrabal (Schriftsteller) oder Josef Škvorecký im Slavia, da es – ironischerweise – vom Staat weiterbetrieben wurde und öffentliche Treffen ermöglichten. Am bekanntesten ist wohl Václav Havel, der das Slavia als sein zweites Wohnzimmer bezeichnete. Noch heute erzählen Kellner Anekdoten, wie Havel immer denselben Tisch bevorzugte und dort an Manuskripten arbeitete. Auch internationale Berühmtheiten schauten vorbei: So soll Miloš Forman, der tschechisch-amerikanische Regisseur, in den 1990ern hier gespeist haben. Das Slavia war und ist ein Ort, an dem sich Kreative aller Art inspiriert fühlen – diese Tradition setzt sich fort, da auch gegenwärtige tschechische Künstler und Politiker hier verkehren.
Warum es heute noch relevant ist
Das Café Slavia ist mehr als ein Café – es ist ein Symbol Prags. Es verkörpert die ungebrochene Verbindung der Stadt zu ihrer kulturellen Vergangenheit. Nach seiner Wiedereröffnung 1997 hat es schnell seinen Status als Treffpunkt der Kunstszene zurückgewonnen. Heute mischen sich Touristen unter Studenten der benachbarten Film- und Musikfakultäten (FAMU und HAMU), Politiker halten informelle Treffen ab, und Journalisten schreiben Artikel in den Ecken – ähnlich wie einst die Literaten. Das Slavia ist außerdem touristisch relevant: Kaum ein Reiseführer verzichtet auf die Empfehlung, hier einen Kaffee mit Blick auf die Moldau zu trinken. Veranstaltungen wie Buchpräsentationen oder kleine Jazz-Konzerte finden gelegentlich statt. Kurzum, das Café Slavia bleibt ein lebendiger Ort der Inspiration. Wer heute das Slavia besucht, spürt die Aura der Geschichte und gleichzeitig den Pulsschlag des modernen Prag – ein Spannungsfeld, das dieses Kaffeehaus einzigartig macht.
Quellen und weiterführend:
- Sarah Borufka: A Prague institution – the famous Café Slavia (Radio Prague International, 2012)
- Radio Prague International: Café Savoy – an Art Nouveau gem by the Vltava (2017)
- Offizielle Webseite cafeslavia.cz